Einleitung
Diese Verletzungen sind im Hobby- und Leistungssport sehr häufig, werden aber leider oft unterschätzt. Das Konzept der Verletzung, die optimalen Therapie- und Präventionsformen sind erst in den letzten Jahren etabliert worden. Was es genau damit auf sich hat, wie man eine solche Verletzung erkennt und was man tun kann, erfährst du hier.
Was sind die „Hamstrings“
Unter «Hamstrings» verstehen wir die Muskulatur auf der Rückseite der Oberschenkel (oder auch Kniebeugersehnen genannt). Wir Mediziner nennen sie ischiocrurale Muskulatur, da sie vom Os ischii (Sitzbein) zum Crus (Unterschenkel) ziehen. Der gebräuchliche Name „Hamstring“ kommt daher, dass die Sehnen (= Seil = engl. String) dieser Muskeln im «Schinken» (engl. Ham) sehr auffallend sind. Aber das nur als kleiner Exkurs. Zur Muskelgruppe zählen drei Muskeln. Es handelt sich um den Musculus biceps femoris („zweiköpfiger Oberschenkelmuskel“) den Musculus semitendinosus („Halbsehnenmuskel“) und der Musculus semimembranosus („Plattsehnenmuskel“).
Welche Verletzungsformen gibt es in diesem Bereich?
Die Verletzungen dieser Muskeln sind sehr vielfältig. Sie reichen von Überlastung über Zerrung bis hin zu Rissen (Rupturen).
Diese können prinzipiell in jedem Teil des Muskels bzw. der Sehnen liegen.
Eine solche Verletzung kann durch einen Schlag oder durch schnelle, abrupte Krafteinwirkung in der sogenannten exzentrischen (maximalen) Muskelanspannung auftreten (wie z. B. beim Wasserski oder Fussball)
Die direkte Schlageinwirkung ist zwar schmerzhaft, führt aber oft nicht zur Zerreissung des Muskelgewebes, sondern «nur“ zu einer Einblutung welche unter rascher Kompression und Physiotherapie sich oft innert 7 bis 14 Tagen komplett erholen kann.
Indirekte Verletzungen sind deutlich langwieriger
Dabei werden grundsätzlich 2 Gruppen unterschieden
high-speed running type
- Häufigste Verletzung der Hamstrings im Sport
- Auftreten / “Stich” im Vollsprint
- Meistens im langen Kopf des M. Biceps femoris lokalisiert
- Oft mit Beteiligung des Muskelsehnenüberganges.
- Braucht üblicherweise weniger lange Rehabilitationszeit wie der “Streching Type”
Stretching-type
- Übermässige Verlängerung der Hamstrings, z.B , bei hohen Kicks, “sliding tackle” oder spagatähnlichen Bewegungen
- meist mit Sehnenbeteiligung des Muskulus Semimembranosus.
- Nahe an der knöchernen Verankerung am Sitzbein lokalisiert
Aufgrund der hauptsächlich sehnigen Verletzung längere Rehabilitationsperiode
Wie erkennt man solche Verletzungen?
Die Verletzung zu erkennen ist oft schwieriger als bei anderen Verletzungen. Oft liegt keine ausgeprägte Schmerzsituation vor und wir sehen dich erst ein paar Tage nachdem der Unfall eigentlich passiert ist. Oft wird ein stechendes Gefühl in der Rückseite des Oberschenkels verspürt. Hier zeigt sich ein mehr oder weniger ausgeprägter Bluterguss.
Sollte sich ein Bluterguss zeigen ohne direkten Schlag ist eine schwerere Verletzung des Muskels oder gar ein Sehnenabriss zu befürchten. Eine zeitnahe ärztliche Abklärung ist dann dringend empfohlen.
Wir untersuchen dich mit ein paar Handgriffen und machen einige Tests (z.B. das sog. „Bowstring Sign“). Manchmal können wir eine Delle fühlen. Ggf. machen wir ein Ultraschall. Sollten wir aber einen Verdacht haben oder detailliertere Informationen benötigen, werden wir dich in aller Regel zu einem MRI schicken und dies mit dir besprechen.
Was kann man machen?
Je nachdem, welche Struktur wo und wie geschädigt ist, empfehlen wir dir die optimale auf deine Verletzung angepasste, wissenschaftlich-fundierte und erfolgreiche Therapie.
Die meisten Verletzungen haben eine gute Chance unter konservativer Therapie (ohne OP) auszuheilen.
Sollte es sich jedoch herausstellen, dass es sich um einen kompletten Sehnenabriss am Ursprung (Sitzbein) handelt und die Sehnen sich vom Ursprung entfernt haben, muss man die Hamstringrefixation (Operation) diskutieren, um den Funktionsverlust zu minimieren.
Trainingsprogramm
Vorbeugung/ Prävention
Am besten ist natürlich, wenn es erst gar nicht zur Verletzung kommt. Was du tun kannst um einer Verletzung vorzubeugen, erfährst du hier.
Es gibt eine Reihe von Risikofaktoren, an denen gearbeitet werden kann um das Risiko für eine Hamstringverletzung zu minimieren. Hier haben wir dir eine Tabelle zusammengestellt mit Risikofaktoren und Tipps.
Tabelle 1: Prävention
Risikofaktor | Tipp |
Frühere Verletzung | Geduldige Reha, Trainingsprogramm, Return to Sports Testung. |
Hohes Lebensalter | Nicht beeinflussbar |
Geringe exzentrische Muskelkraft | Trainingsprogramm/ Physiotherapie |
Körperhaltung (Beckenkippung.) | Trainingsprogramm/ Physiotherapie |
Muskuläre Dysbalance | Trainingsprogramm/ Physiotherapie |
Körpergewicht | Diät, Trainingsprogramm |
Früher Wiedereinstieg nach Verletzung | Geduld, Trainingsprogramm/ Physiotherapie |
Genetische Veranlagung | Nicht beeinflussbar |
Wie du siehst, sind einige Faktoren nur schwer oder gar nicht zu beeinflussen. Einige Punkte die du aber gut beeinflussen kannst, ist die exzentrische Muskelkraft, die Beckenkontrolle und die Dysbalance.
Operation Hamstringrefixation
Bei dir wurde ein Riss der Hamstrings festgestellt und wir haben dir eine OP empfohlen? Jetzt willst du vielleicht noch mehr Details erfahren.
Wir sind als sport- und sehnenspezialisierte Klinik sehr erfahren in der Refixation dieser Verletzungen und führen diese in der Schweiz, unseres Wissens nach, am häufigsten durch.
Auch wissenschaftliche Studien empfehlen bei Athleten mit Hamstringabrissen die zeitnahe operative Versorgung wegen der mittel- und langfristig besseren Funktion und selteneren Ischias-Beschwerden als ohne Operation. Insgesamt sind gute bis sehr gute Ergebnisse zu erwarten.
Wenn eine Operation nötig ist, werden wir dich in der Sprechstunde über alle vorhersehbaren Umstände aufklären und dies mit dir besprechen. Uns ist es wichtig, dass du verstehst, was auf dich zukommt.
Ablauf der Operation
Die Operation wird in der Vollnarkose durchgeführt.
Bei der Vorbereitung wirst du auf einem speziellen Tisch mit besonders weichen Spezialkissen auf den Bauch gelagert. Dann kommst du schlafend in den OP-Saal.
Es werden die unterschiedlichen Präzisionsinstrumente vorbereitet. Es erfolgt ein Team-Time-Out, dies ist vergleichbar mit dem unerlässlichen Check der Piloten vor jedem Flug. Hier wird deine Identität, die geplante OP, die richtige Seite und allfällige Besonderheiten kontrolliert und besprochen.
Jetzt startet die OP. Es wird ein kleiner Schnitt im Bereich deiner Gesässfalte gemacht. Nun arbeitet man sich langsam und vorsichtig schichtweise in die Tiefe in Richtung des Sitzbeins. Da der Ischiasnerv hier ganz in der Nähe verläuft, wird dieser besonders sorgfältig geschützt. Durch den Druck der Nerven-Sicherungsinstrumente kann es manchmal trotzdem zu vorübergehenden Gefühlsstörungen kommen. Diese bilden sich aber in aller Regel ganz zurück. Eine relevante Verletzung des Nervs ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Sonst würden wir dir eine solche OP nicht empfehlen.
Kommt man in die Nähe der Verletzung zeigt sich oft ein grösserer Bluterguss, welcher ausgespült wird. Die abgerissenen Muskel-/Sehnenanteile werden freigelegt und vorsichtig gesäubert. Auch das Sitzbein wird aufgesucht, dargestellt und angefrischt.
Nun bohren wir 1-3 Löcher in dein Sitzbein und schrauben je einen Faden-Anker in die Löcher.
An diesem Anker befinden sich Fäden. Diese werden nun benutzt um die abgerissenen Anteile wieder an ihrem ursprünglichen Platz zu fixieren.
Damit ist die Operation auch schon fast zu Ende. Es wird ein kleiner Schlauch (Drainage) eingelegt. Die Wunde zugenäht und ein Pflasterverband angelegt. Im Anschluss wird dein Bein eingewickelt und du bekommst noch eine Schiene.
Nachbehandlung
Nach einer solchen Operation werden deine Belastung und die Bewegungsumfänge eingegrenzt, um die Sehnennaht zu entlasten und die Chance zu geben zu heilen.
Die Nachbehandlung muss konsequent durchgeführt werden, sie ist für über 50 % des Erfolgs der Gesamttherapie verantwortlich. In den ersten 3 Monaten nach Operation ist die Gefahr eines erneuten Abrisses durch Fehlverhalten oder Ausrutschen am Grössten.
Bei einer OP wie oben erklärt wäre ein Schema wie folgt anzuwenden.
Für ca. 6 Wochen ist eine Teilbelastung einzuhalten. Das heisst, dass du Gehstöcke benutzen musst und für diese Zeit auch eine Thromboseprophylaxe (meist Spritzen und Kompressionsstrümpfe) brauchst. Eine Knieschiene musst du unbedingt tragen, um die Rekonstruktion zu schützen. Diese darfst du auch nachts oder beim Sitzen nicht abziehen. Sie schränkt die Beweglichkeit im Kniegelenk ein und soll einen unnötigen/übermässigen Zug aus die Hamstings vermeiden.
Die Sporteinschränkung dauert in der Regel etwa 3-6 Monate.
Während der ganzen Zeit wirst du konsequent durch die Physiotherapie betreut.
Deine Hautnähte werden in der Regel nach etwa 14 Tagen durch uns oder deinen Hausarzt entfernt. Wir sehen dich gerne nach 6 Wochen zur Kontrolle in der Sprechstunde. Bei Problemen natürlich jederzeit.
Dein Arbeitsausfall richtet sich nach deinem Beruf. Leichte Tätigkeiten (Büro) sind in der Regel bereits nach ca. 2 Wochen wieder möglich. Bei körperlichen Berufen ist in der Regel ein Ausfall von mindestens 6 Wochen zu veranschlagen.
Wir hoffen, du hast jetzt einen kleinen Einblick in die Operation und die Abläufe bekommen und fühlst dich gut informiert.
Dein ALTIUS-Team